Xenon Kino Berlin

Filmkunstkino in Berlin-Schöneberg

Was nützt die Liebe in Gedanken
D 2004 • 89 Min. • frei ab 16
Regie: Achim von Borries
Buch: Achim von Borries, Hendrik Handloegten nach einer Vorlage von Anette Hess und Alexander Pfeuffer nach Motiven des Romans »Der Selbstmörderclub« von Arno Meyer zu Küingsdorf
mit: Daniel Brühl s.a. »Der ganz große Traum« (2010) und »Die kommenden Tage« (2010) und »Lila Lila« (2009) und »Krabat« (2008) und »Good Bye, Lenin!« (2003)), Anna Maria Mühe (s.a. »Lila Lila« (2009)), Thure Lindhardt {s.a. »Keep The Lights On« (2012)), Jana Palaske
Kamera / Bildgestaltung: Jutta Pohlmann
Schnitt / Montage: Gergana Voigt (s.a. »Cattolica« (2004)), Antje Zynga
Musik: Thomas Feiner, Ingo Frenzel (s.a. »Lollipop Monster« (2011) und »Der ganz grosse Traum« (2010) und »Goethe!« (2010)
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Juni 1927: Paul Krantz und sein bester Freund Günther Scheller ... zusammen haben sie den «Selbstmörderclub» gegründet ...

Gibt es ihn wirklich, den höchsten Punkt im Leben? Günther und Paul sind davon überzeugt: Sie wollen leben, in vollen Zügen und ohne Kompromisse - und gleiches verlangen sie von der Liebe. Gemeinsam mit Günthers Schwester Hilde verbringen sie das Wochenende in einem Sommerhaus auf dem Land. Paul ist fasziniert von dem Mädchen und verliebt sich in sie. Und zunächst sieht es so aus, als ob Pauls Gefühle erwidert werden. Doch Hilde liebt viele. Heimlich trifft sie sich mit Hans - Günthers ehemaligem Liebhaber. Im Garten des Hauses feiern sie ein rauschendes Fest. Als Hans überraschend zu ihnen stösst, setzt er eine Achterbahnfahrt der Gefühle in Gang, die sehr bald außer Kontrolle gerät: Berauscht von Absinth und Musik, von großer Sehnsucht und ihrer Gier nach dem Leben werden sie alle in einen tödlichen Strudel gerissen ...

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während Paul Hilde anhimmelt, vergnügt diese sich mit Hans, Günther schaut seinem Ex-Liebhaber depremiert zu ... Paul hat sich in Günthers Schwester Hilde verliebt, doch dann taucht Hans auf, ein ehemaliger Liebhaber von Günther ...

Die Statuten des Selbstmörderclubs: Mitglieder sind Paul Krantz und Günther Scheller.
1. Der Name dieses Selbstmörderclubs ist Fe-hou
2. Liebe ist der einzige Grund, für den wir zu sterben bereit sind.
3. Liebe ist der einzige Grund, für den wir töten würden.
4. Wir verpflichten uns daher, unser Leben in dem Augenblick zu beenden, in dem wir keine Liebe mehr empfinden. Und wir werden all diejenigen mit in den Tod nehmen, die uns unserer Liebe beraubt haben.


Die Steglitzer Schülertragödie von 1927: Im Sommer 1927 schockiert eine furchtbare Bluttat Berlin, die als »Steglitzer Schülertragödie« in die Annalen eingehen wird: In der Steglitzer Wohnung seiner Eltern erschießt am frühen Morgen des 28. Juni der 19-jährige Oberprimaner Günther Scheller den gleichaltrigen Kochlehrling Hans Stephan und tötet sich anschließend durch einen Schuss in den Kopf selbst. Zugegen sind Schellers Schulkamerad Paul Krantz, 18, Schellers Schwester Hildegard, 16, und deren Freundin Elli, 16. Die Jugendlichen hielten sich allein in der Schellerschen Wohnung auf, während die Eltern in Stockholm waren. Paul Krantz war der einzige Augenzeuge der Tat. »Wir werden lächelnd aus dem Leben scheiden.« Auf dem Küchentisch findet die von den Jugendlichen alarmierte Polizei einen Abschiedsbrief, in dem Günther Scheller und Paul Krantz ankündigten, zuerst Hans Stephan und Hilde Scheller und anschließend sich selbst zu töten. So hatte Günther geschrieben: »Liebes Weltall! Ein winziges Stück Deines Organismus vergeht. Sei nicht böse darüber, du wirst den Untergang einer Zelle kaum als Verlust empfinden. Tausend andere drängen sich als Ersatz. Die Zeit rollt weiter und weiter, was kümmert sie mein bisschen Leben? Ein kurz aufleuchtender Schein in der Gemeinschaft der Menschen und dann Erlöschen, Staub, Asche.»Paul Krantz schrieb auf einen anderen Zettel: «In diesem Augenblick werden Hans Stephan und Männe (Spitzname für Hilde) sterben (durch unsere Hand). Wir beide, Günther und ich, werden lächelnd aus dem Leben scheiden!«
Paul hatte außerdem folgende Worte an einen Schulkameraden zu Papier gebracht: »Lieber Fritz! (...) Ich glaube, dass Liebe (staunste, was?) mich zur letzten Konsequenz verleitet. Es gibt Mädchen, deren Hingabe in Dir ein so durchdringendes, süßes Gefühl hervorruft, dass Du es niemals vergessen kannst, dass Du im selig Rausch und Taumel Dein Glück besessen hast. (...) Fritz! Ich erschieße erst Günther, dann Hilde, während Günther Hans Stephan zuerst erschießt. (...) Nun lache nicht, sondern denke dran, dass mein Schritt die letzte Konsequenz eines vom Leben Getöteten ist. Günther ist vollkommen einverstanden und grüßt Dich, wie ich, mein Freund, zum letzten Mal. Paul Krantz und Günther Scheller.«
Offenbar hatten sich die Jungen in einem Rausch aus Alkohol, Lebensüberdruss, enttäuschter Liebe und romantischem Weltschmerz in die abgründige Katastrophe hineingesteigert. Pauls Rechtsanwalt, der berühmte Strafverteidiger Dr. Dr. Erich Frey, bezeichnet diese Stimmung später als
»seelisches Dämmerlicht«.

»Es schien unmöglich, Günther zur Besinnung zu bringen.«


»Als die ersten Strahlen des Morgens das lange Grauen seiner Dämmerung lichteten», erinnert sich Paul Krantz später in seiner Autobiographie «Erinnerungen eines Deutschen« (1971), »schien auch unser eigener Dämmerzustand der verstiegenen Weltfluchtpläne mit einem Schlage zerstoben.(...) Doch es schien fast unmöglich, Günter zur Besinnung zu bringen (...) Günter starrte mich nur finster an und fuchtelte auch in meiner Richtung mit dem Revolver herum, der nunmehr scharf geladen war, denn er hatte in einer Schreibtischschublade passende Munition gefunden. Ich hatte ihm schon einzureden versucht, Stefan (Hans Stephan) sei gar nicht mehr da. Hilde, der es unter unserem lauten Rumoren schließlich doch unheimlich geworden war, (...) kam nun (...) zu uns. Mir flüsterte sie rasch zu, Hans sei fort. Mir kam die Botschaft wie eine Erlösung (...) Sie hatte die Tür zum Schlafzimmer demonstrativ offen gelassen und schien ihrer Sache völlig sicher zu sein. Günter wirkte resigniert, er zeigte sich zugleich enttäuscht und höhnisch. (...) Günter war scheinbar langsam und gleichgültig in das Nebenzimmer gegangen. Dort aber hatte Hilde ihren Freund hinter einem zwischen Schrank und Wand gespannten Lakenvorhang versteckt. Fast unverzüglich krachten die Schüsse. Eine jähe Bewegung des Tuches musste Stefan (Hans Stephan) verraten haben.«

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»Sie verstehen nichts …« kann Paul den Beamten in seinen Verhören nur entgegnen ...

Einer der Aufsehen erregendsten Prozesse der Zwanziger Jahre: Paul Krantz wird am 1. Juli unter dem Verdacht der Mittäterschaft verhaftet und vor dem II. Schwurgericht in der Moabiter Turmstraße des Mordes angeklagt. Wochenlang halten die Ereignisse jener verhängnisvollen Nacht während des Krantz-Prozesses im Februar 1928 die Öffentlichkeit in Atem. Korrespondenten aller namhaften europäischen Zeitungen sind vor Ort, eine japanische Delegation, sogar US-Journalisten. Ihre Berichte beflügeln die Phantasie außerhalb des Gerichtssaals. Immer neue Details über morbide Gedichte und Alkoholräusche, homosexuelle Beziehungen und promisken Sex unter den sich selbst überlassenen Jugendlichen elektrisieren die Öffentlichkeit. Von «sündiger Liebe», «frühzeitig verdorbenen Mädchen», «Liebe in ihren schrankenlosen Ausartungen» schreibt etwa der Lankwitzer Anzeiger am 14.2.1928. Die dreiwöchige Gerichtsverhandlung - Paul Krantz ist zunächst wegen Doppelmordes, dann wegen Mittäterschaft und Verabredung zum Mord an Hilde Scheller sowie wegen unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt - gerät zum Sensationsprozess. Die Mädchen, vor allem Hilde Scheller, müssen minutiöse und demütigende Befragungen zu ihrem Liebesleben über sich ergehen lassen. Die Staatsanwaltschaft lässt sogar ein medizinisches Gutachten über Hildes »körperliche Unversehrtheit« erstellen, um ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. Krantz hingegen werden seine Gedichte zum Verhängnis: Nicht nur lag mit dem Abschiedsbrief eine Art schriftliches Geständnis vor - es fanden sich in seinem Tagebuch auch weitere, belastende Verse.
Im Gerichtssaal selbst geht es hoch her. Der Staranwalt Dr. Dr. Erich Frey, der schon den
«Beilchenmörder» Haarmann verteidigt hatte und die Verteidigung von Paul Krantz ohne Honorar übernimmt, legt nach einer scharfen Auseinandersetzung mit dem Vorsitzenden Richter mitten im Prozess sein Mandat nieder, woraufhin der von der Presse als «schwächlich» und »dünnblütig« bezeichnete Krantz einen Nervenzusammenbruch erleidet. Drei Tage später nimmt Frey sein Mandat wieder auf und erstreitet schließlich einen Freispruch für Paul Krantz.

In seinem Schlussplädoyer in einem der Aufsehen erregendsten Prozesse der Zwanziger Jahre sagt Dr. Dr. Erich Frey am 20. Februar:
»Ich frage nicht wie der Herr Staatsanwalt: Was ist geschehen? Ich frage: Was ist Jugend? Und darauf antworte ich mit dem Wort Goethes: Jugend ist Trunkenheit ohne Wein.«
Paul Krantz wird frei gesprochen von der Anklage des Mordes und der Anstiftung zum Mord und zu einer dreiwöchigen Haftstrafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt, die allerdings auf seine siebenmonatige Untersuchungshaft angerechnet wird. Der Prozess selbst hatte auch weitreichende, gesellschaftliche Konsequenzen: Er hat nicht nur eine große, sowohl erhitzte als auch ernsthaft geführte öffentliche Debatte über die Moral der Jugend losgetreten, sondern auch eine Diskussion über das im Berlin der Weimarer Republik noch weitgehend separierte Schulwesen für Mädchen und Jungen und die schädlichen Folgen der Geschlechtertrennung angeregt. 1931 erschien der erste Roman von Paul Krantz
»Die Mietskaserne« unter dem Pseudonym Ernst Erich Noth. Am 10. Mai 1933 wurde das Buch auf die Scheiterhaufen der Bücherverbrennung geworfen. Paul Krantz flüchtete in der Nacht des 5. März 1933 aus Deutschland und ging als politisch Verfolgter ins Exil. Gegen Hilde Scheller wurde in der Folge der Geschehnisse eine regelrechte Hexenjagd veranstaltet. Aufgrund der obszönen Berichterstattung über ihre Person war sie nach dem Prozess gezwungen, die Stadt zu verlassen. Hilde wurde Bibliothekarin. Elli hat nie geheiratet.
Die ersten Verfilmungen der »Steglitzer Schülertragödie« Bereits zweimal ist die »Steglitzer Schülertragödie« verfilmt worden: 1929, im Jahr nach dem Prozess, drehte Carl Boese GESCHMINKTE JUGEND, der sich auf den schlechten Einfluss der »mondänen« Mutter von Hilde (hier: Margot) und hemmungslose Annäherungsversuche einer Walter genannten Günther-Figur (kein Bruder, sondern ein Schürzenjäger) konzentrierte. Der Charakter Paul dagegen («Walter, der Sittenstrenge») wird als Ehrenretter von Margot zum tragischen Mörder. 1960 drehte Max Nosseck ein gleichnamiges Remake des Dramas, das ganz um die vergnügungssüchtige Twist-Generation und einen an all der Oberflächlichkeit verzweifelnden Kleist-Jünger kreiste. Doch Nossecks Film stieß der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft auf. Nur ein einziges Mal wurde er mit dieser Freigabe in einem Kino gezeigt 1988 im Berliner Sputnik. Erst im Rahmen der Retrospektive auf der Berlinale 2002 schließlich wurde er gewürdigt. Anders als Nosseck und Boese hielt sich Achim von Borries detailgetreu an die Ereignisse, wie sie sich nach den Erkenntnissen im Gerichtsaal in der Schellerschen Wohnung abgespielt hatten. Und als Einziger gab er den Figuren im Film ihre wahren Namen.Biographie Ernst Erich Noth (früher Paul Krantz)
Der Schriftsteller und Literaturhistoriker Ernst Erich Noth kommt am 25. Februar 1909 in Berlin zur Welt und verstirbt am 15. Januar 1983 in Bensheim an der Bergstraße. Ursprünglich hieß er Paul Krantz, später legte er sich das Pseudonym Ernst Erich Noth zu, das mit seiner Einbürgerung in den Vereinigten Staaten von Amerika 1948 auch sein bürgerlicher Name wurde. Als uneheliches Kind wächst er in einer berüchtigten Berliner Mietskaserne auf. Da er als außerordentlich talentiert gilt, wird er gefördert und als «begabtes Proletarierkind» auf die höhere Schule geschickt. Dort kommt er mit den zunehmenden Krisenherden der damaligen bürgerlichen Welt, der Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher seiner Generation in Berührung. Traurige Berühmtheit erlangt er als junger Mensch beim Aufsehen erregenden Prozess um die «Steglitzer Schülertragödie», bei dem Krantz eine prominente, wenn auch unschuldige Hauptrolle spielt. Obwohl er 1928 vom Gericht freigesprochen wird, leidet Ernst Erich Noth zeit seines Lebens unter dieser traumatischen Tragödie, die sich in seinem Freundeskreis zugetragen hatte.

1929 nimmt Ernst Erich Noth ein Studium der Germanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main auf und beginnt, als freier Mitarbeiter für die Frankfurter Zeitung zu schreiben. 1933 emigriert er nach Paris und studiert dort an der Sorbonne weiter. Er wird regelmäßiger Mitarbeiter französischer Wochen- und Monatsschriften und später auch Redaktionsmitglied der renommierten Cahiers du Sud. 1939 wird ihm die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt und im Mai des gleichen Jahres folgt die Ausbürgerung durch das Reichsministerium des Innern. Alle bis dahin veröffentlichten Schriften wurden verboten, sein Roman
«Die Mietskaserne» war schon am 10. Mai 1933 verbrannt worden.
Nach der Besetzung Frankreichs versteckt er sich im Untergrund bis ihm 1941 die Flucht in die Vereinigten Staaten von Amerika gelingt. In New York wird er Leiter der deutschsprachigen Kurzwellensendungen der National Broadcasting Company (NBC). Später arbeitet Noth als Herausgeber und Chefredakteur der internationalen Literaturzeitschrift Books Abroad und Professor für Moderne Sprachen und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Oklahoma. Als Professor lehrt er auch an der Marquette University/ Milwaukee und wird wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs für klassische Literaturen und Neuere Philologien. 1963 kehrt Noth nach Europa zurück und arbeitet in Frankreich als Lektor mehrerer Verlage und Dozent an den Universitäten Aix-en- Provence, Marseille und Paris. Von 1971 an lehrt er als Gastprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main bis zu seiner Entlassung 1980. Von Ernst Erich Noth sind im glotzi Verlag u.a. folgende Bücher erschienen:
Die Mietskaserne, Roman. Erstausgabe 1931.
Die Tragödie der deutschen Jugend, Essay von 1934.
Jupp und Adolf, Politische Umdichtung von Wilhelm Buschs
«Max und Moritz». 1943.
Illustriert von Walter Diewock. 2003.

Dieser Film lief im Xenon im Februar bis März 2005

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