BRA 2002 • 105 Min. • frei ab 16 • port.O.m.U.
Regie: Karim Aïnouz (s.a. »Praia do Futuro« (2013))
Buch: Karim Aïnouz, Marcelo Gomes, Sérgio Machado
mit: Lázaro Ramos, Marcélia Cartaxo, Flavio Bauraqui, Felippe Marques, Emiliano Queiroz, Renata Sorrah
Kamera / Bildgestaltung: Walter Carvalho (s.a. »Amores Possíveis« (2001))
Schnitt / Montage: Isabela Monteiro de Castro (s.a. »Caracas - Eine Liebe« (2015) und »Praia Do Futuro« (2013))
Musik: Marcos Suzano, Sacha Amback
Produktion: Walter Salles (s.a. Regie von »The Motorcyle Diaries« (2004))
João Francisco hat einen Traum ...
er lebt in Rio in ärmlichen Verhältnissen zusammen mit der Gelegenheitshure Laurita, deren Tochter Firmina sowie Taboo, der vorwiegend in Frauenkleidern rumläuft ...
... Der angeklagte João Emtabaja da Silva, ist den Behörden als gewalttätiger Mensch bekannt. Er wohnt überwiegend in Lapa, ist ein Päderast mit rasierten Augenbrauen und femininen Einstellungen, die sogar soweit gehen, dass er seine Stimme verändert. Er ist nicht religiös. Er ist Alkoholiker. Er raucht und organisiert Glücksspiele. Er hat kaum eine Erziehung genossen. Er kann sich kaum verständlich ausdrücken. Er spricht die Sprache des gemeinen Volkes. Er ist nicht intelligent. Er verkehrt in den gefährlichen Kreisen von Homosexuellen, Prostituierten und anderen Halsabschneidern. Er hat eine beträchtliche Summe an Geld, aber er hat kein geregeltes Einkommen. Dieses Geld muss er sich auf kriminelle Art und Weise beschafft haben. Er ist mehrfach vorbestraft. Wird er in Gewahrsam genommen, ist er gewalttätig, unberechenbar und attackiert die Hüter des Gesetzes. Er ist von niederer Natur, in seiner Anlage kriminell und stellt deshalb eine Gefährdung für die Gesellschaft dar ...
12. Mai 1932 • Rio de Janeiro • Hauptstadt von Brasilien • Polizeistation.
… er ist das Familienoberhaupt und Ersatzvater.
Nachts steht er geschmückt und behängt auf der Bühne, um seinen Traum zu verwirklichen ... berühmt zu sein und der Gosse zu entfliehen ...
Lapa, das Künstlerviertel von Rio de Janeiro im Jahr 1932.
Auf der Bühne des Kabaretts »LUX« steht Vitoria dos Anjos, eine gefeierte Sängerin, und singt Josephine Bakers berühmten Chanson »Nuit d´Alger«. Das Publikum scheint paralysiert. Hinter der Bühne, fasziniert, ihr Diener. João Francisco, eine Erscheinung von einem Mann, groß, kräftig, schwarz. Lippensynchron bewegt er sich mit der Sängerin. Er himmelt sie an. So wie sie, will er eines Tages auf der Bühne stehen und das Publikum für sich gewinnen. Er trägt heimlich ihr Kleider, spielt mit ihrem kostbaren Schmuck und ahmt ihr europäisches Auftreten nach.
Ja, das ist sein Traum vom Leben. Einmal ein Star sein, das Publikum verführen in eine andere Welt. Lasziv, erotisch, vereinnahmend. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Vitoria dos Anjos sieht in ihm nichts weiter als einen ganz persönlichen Sklaven, der ihre Garderobe in Ordnung hält und ihr ständig zu Diensten ist.
Doch João Francisco ist eine ganz eigene Persönlichkeit. Nichts ist ihm verhasster als respektlos behandelt zu werden. Es kommt zum Streit, Vitoria fühlt sich bedroht und Joao erlebt die Zeit im Kabarett als Provokation. Er geht hinaus auf die Strassen von Rio, taucht ab in die Unterwelt der zwielichtigen Gestalten, der Prostituierten und Gauner. Das ist seine Welt. Hier sind die Menschen ehrlich und direkt. Hier fällt er auf, ist eine Erscheinung, angesehen und gefürchtet zugleich.
João Francisco lebt mit Laurita, einer Gelegenheitsnutte, ihrer kleinen Tochter Firmina und Taboo zusammen, einem Mann, der ihm bedingungslos vertraut und ausgeliefert ist. Sie sind eine ungewöhnliche Familie, aber ihr Zusammenhalt bringt sie durch so manche schwierige Situation und Joao fühlt sich als Patriarch dieses kleinen Mikrokosmos verantwortlich. Er braucht sie, auch wenn er das nicht immer offen zeigen kann.
Die engen Gassen von Lapa und die Unterwelt von Rio de Janeiro sind João Franciscos zweite Familie. Amador, der Besitzer der »Blue Danube« Bar, wo Prostitution, Drogen und Korruption herrschen, ist einer seiner engsten Freunde. Beide beherrschen das Viertel, bestechen die Polizei und kontrollieren die Strasse.
Eines Tages trifft João auf den undurchsichtigen Renatinho. Beide sind gleichzeitig fasziniert und abgestossen voneinander. Jeder beherrscht den anderen auf seine Art. Renatinho ist fasziniert von der Persönlichkeit, von diesem Capoeira-Kämpfer, der alle in der Hand zu haben scheint. Joao wird magisch von Renatinho und seine ablehnende Art angezogen. Ihre Liebe wird tragisch enden.
João Francisco hat aber auch Feinde. Eine falsche Anschuldigung wegen Diebstahls, ein wutentbrannter und zügelloser Kampf mit der Polizei und er muss das erste Mal in seinem Leben hinter Gitter. Insgesamt 27 Jahre seines Lebens wird er sich dort wieder finden; auch hier im Gefängnis spielt er seine Macht aus.
Ein Traum aber bleibt. Der große Auftritt auf der Bühne. Die Feier zu Lauritas Geburtstag ist ein willkommener Anlass. In der »Blue Danube« wird eine Bühne aufgebaut und Joao wird für seine Freunde singen. Er wird alle Rollen spielen, die er bei Vitoria dos Anjos gesehen hat. Die Hure, die Verführerin, die Königin des Dschungels. Der Abend wird ein voller Erfolg und mit einem Schlag ist Joao Francisco berühmt. Mehr noch: Seine Figur der Madame Sata, eine Hommage an Cecil B. DeMilles´ Film »Madame Satan«, wird Inbegriff einer faszinierenden Persönlichkeit. Das Glück schien endlich auf seiner Seite zu sein, aber eine Verkettung von unglücklichen Umständen eskaliert in der Ermordung eines Freiers. Für zehn Jahre muss Joao Francisco hinter Gitter.
immer wieder gerät er dabei mit dem Gesetz in Konflikt ...
mit dem geheimnisvollen, attraktiven Renatinho verbindet ihn eine tragisch endende Liebe ...
Lapa, Karneval, 1942.
João Francisco kehrt zurück in seine Welt, nach Lapa. Auf dem Karneval wird er endgültig zum Star. Er gewinnt einen Kostümwettbewerb und die Menschen haben ihn nicht vergessen.
Das ist seine Welt, der Glanz, die Macht im Mittelpunkt zu stehen. Joao Francisco scheint wiedergeboren als neuer Mensch, der noch zu Lebzeiten zu einem Mythos wird: Madame Sata.
insgesamt 27 Jahre seines Lebens verbringt er in verschiedenen Gefängnissen ...
Madame und Renatinho ...
João Francisco dos Santos - Chronologie eines Lebens:
1888: Die Sklaverei in Brasilien wird abgeschafft.
1890: Ende der Monarchie in Brasilien, Ausrufung der Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien.
1900: Am 25. Februar wird João Francisco dos Santos in Gloria do Coita, einer kleinen Stadt in der nordöstlichen Provinz von Brasilien geboren.
1907: Sein Vater wird ermordet.
1908: Seine Mutter, Firmina Teresa da Conceicao, vermietet ihn an einen Pferdehändler, in dessen Besitz er übergeht.
1909: Joao Francisco flieht er nach Rio de Janeiro und arbeitet für die Prostituierte Dona Felicidade. Gemeinsam ziehen sie nach Lapa, einem heruntergekommenen Wohnbezirk von Rio de Janeiro.
1913: Er verlässt Dona Felicidade und lebt auf der Straße.
1916: Seine erste erhaltene Gesangsaufnahme: »Pelo Telefone«
1918: Joao Francisco arbeitet als Kellner und Koch in verschiedenen Absteigen.
1929: Börsencrash an der Wall Street, New York
1930: Cecil B. DeMilles´ Film »Madame Satan« wird uraufgeführt.
1932: In einem Theaterstück spielt João Francisco die Rolle des »Mulatto of Balacoche«. Auf offener Strasse tötet er einen Mann und kommt für zehn Jahre ins Gefängnis.
1937: Die radikale Regierung beschliesst weit reichende Maßnahmen zur Unterdrückung und Ausbeutung der ärmeren Bevölkerung.
1939: Carmen Miranda verlässt Brasilien in Richtung USA.
1942: Gleich nach seiner Haftentlassung gewinnt João Francisco eine Auszeichnung für sein Kostüm, das von dem Film »Madame Satan« von Cecil B. DeMille inspiriert wurde. Die Künstlerkreise von Rio de Janeiro kennen ihn fortan unter dem Namen »Madame Sata«.
1943: João Francisco adoptiert das erste von insgesamt sieben Kindern.
1946: João Francisco zieht zusammen mit Maria Faissal dos Santos und heiratet sie.
1951: Ein kurzer Auftritt im Theater. João Francisco singt und tanzt als Carmen Miranda.
1954: Diktator Getulio Vargas begeht Selbstmord.
1955: João Francisco muss wegen Diebstahls ins Gefängnis. Sein letzter Aufenthalt als Gefangener, nach insgesamt 27 Jahren seines Lebens in Haft.
1960: Brasilia wird Hauptstadt von Brasilien.
1964: Das Militär übernimmt für die nächsten 15 Jahre die Macht.
1965: Joao Francisco kommt aus dem Gefängnis frei.
1968: Neil Armstrong betritt den Mond.
1971: Ein ungewöhnliches Interview im brasilianischen Magazin »Pasquim« macht João Francisco zu einem Helden des Untergrunds.
1972: Die »Erinnerungen der »Madame Sata« werden veröffentlicht.
1976: Am 12. April stirbt João Francisco dos Santos an Lungenkrebs.
Dieser Film lief im Xenon im Oktober bis Dezember 2004 |