Sommer 85
»Ete 85« F 2020 • 100 Min. • frei ab 12 • franz. O.m.U.
Regie: Francois Ozon (s.a. »Mein fabelhaftes Verbrechen« (2023) und »Peter von Kant« (2022) und »Alles ist gut gegangen« (2021) und »Der andere Liebhaber« (2017) und »Frantz« (2016) und »Eine neue Freundin« (2014) und »Das Schmuckstück« (2010) und »Rückkehr ans Meer« (2009) und »Ricky« (2008) und »Die Zeit, die bleibt« (2005) und »Swimming Pool« (2003) und »8 Frauen« (2002) und »Tropfen auf heisse Steine« (1999) und »Ozon Kurzfilme« (1995 / 1996 / 1997))
Buch: Francois Ozon nach dem Roman »Tanz auf meinem Grab« von Aidan Chambers
mit: Félix Lefebvre (s.a. »Mein fabelhaftes Verbrechen« (2023)), Benjamin Voisin (s.a. »Verlorene Illusionen« (2022) und »The Happy Prince« (2017)), Philippine Felge, Valeria Bruni-Tedeschi (s.a. »In den besten Händen« (2021) und »Die Zeit, die bleibt« (2005) und »Meeresfrüchte« ( 2004)), Melvil Poupaud (s.a. »Rückkehr ans Meer« (2009) und »Die Zeit, die bleibt« (2005)), Isabelle Nanty (s.a. »Wir verstehen uns wunderbar« (2006) und »Die fabelhafte Welt der Amélie« (2001)), Laurent Fernandez, Bruno Lochet (s.a. »Das Schmuckstück« (2010) und »Brüderliebe« (2004))
Kamera / Bildgestaltung: Hichame Alaoui (s.a. »Alles ist gut gegangen« (2021)
Schnitt / Montage: Laure Gardette (s.a. »Mein fabelhaftes Verbrechen« (2023) und »Peter von Kant« (2022) und »Alles ist gut gegangen« (2021) und »Frantz« (2016) und »Eine neue Freundin« (2014) und »Das Schmuckstück« (2010))
Musik: Jean-Benoit Dunckel
Ein heißer Sommer in der Normandie, 1985: Der 16-jährige Alexis verbringt die Ferien gemeinsam mit seinen Eltern in einem kleinen malerischen Örtchen an der Küste. Als ihn eines Tages ein überraschend aufziehendes Unwetter in seiner kleinen Segeljolle zum Kentern bringt, wird er wie durch ein Wunder von dem etwas älteren David gerettet. Eine große, besondere Sommerliebe nimmt ihren Anfang, doch nach wenigen Wochen wird das unbeschwerte Liebesglück der beiden Teenager getrübt. Die Ereignisse überschlagen sich und Alexis muss ein letztes Versprechen einlösen …
In Handschellen wird der Teenager Alexis abgeführt. Mit ernster Stimme berichtet er als Ich-Erzähler, wie alles geschah, vor einem halben Jahr in jenem beschaulichen Küstenort der Normandie. Mit seiner kleinen Segeljolle gerät der 16-Jährige in ein überraschend aufziehendes Unwetter und kentert. Als Retter in der Seenot taucht der 18-jährige, gutaussehende David auf. „Das ist er. Der künftige Leichnam!“, so zieht Alex, wie er seinen Namen gerne verkürzt, das Publikum rückblickend ins Vertrauen. Die Zeitsprünge haben Methode, der junge Held erzählt seine Story aus dem Danach.
Wie ein Puzzle setzt sich zusammen, wie das ganze Bild schließlich aussehen wird. Eines jener Puzzle-Stücke ist das Faible für den Tod. Immer wieder erzählt Alex davon. „Manchmal verstehen wir nicht, was er sagt“, klagt die besorgte Mutter. Kaum sind die beiden durchnässten Teenager an Land, schlägt David vor, gemeinsam in die Familien-Villa zu gehen, um sich aufzuwärmen. Seine Mutter empfängt den Gast mit überschwänglicher Herzlichkeit. Höchstpersönlich reißt sie im Badezimmer dem völlig verdutzten Alex die Kleider vom Leib und steckt ihn nach neugieriger Musterung in die Wanne: „Badewannen erinnern mich schon immer an Särge“ vertraut Alex dem Publikum an und erinnert einmal mehr an seine Obsession für den Tod.
Auch David interessiert sich für das Thema. Den Tod des verstorbenen Vaters hat er noch nicht verarbeitet. Später verlangt er von Alex einen gemeinsamen Schwur: Wer den anderen überlebt, der muss auf dessen Grab tanzen. Die Romanze zwischen den beiden Teenagern entwickelt sich mit großer Leidenschaft. Begeistert setzt sich Alex auf den Rücksitz der Suzuki, mit der David über die Straßen rast. Die riskante Fahrt nimmt er in Kauf, schließlich kann er sich auf dem Motorrad ganz eng an seinem Freund festhalten. Einmal mehr zieht Alex das Publikum ins Vertrauen: „Sie wollen wissen, was in jener Nacht hinter dieser Tür geschah? Das ist normal. Wir alle wollen die Geheimnisse hinter geschlossenen Türen erfahren. Aber ich verrate es nicht. Nur soviel: Es war die schönste Nacht meines Lebens. Und ich verbrachte sie mit David.“
Bald jedoch tauchen dunkle Wolken am rosaroten Beziehungshorizont auf. Eifersüchtig stellt Alex fest, dass sein Freund bis 4 Uhr früh am Strand mit einer neuen Bekanntschaft verbrachte. Der flotte Flirt mit dem attraktiven Au-pair-Mädchen Kate wird das Fass schließlich zum Überlaufen bringen. „Das war der Anfang vom Ende“, blickt der Held auf eine gemeinsame Bootsfahrt zu dritt zurück. Am Morgen danach wird die Beziehung in die Brüche gehen, nach „6 Wochen, 1008 Stunden, 3.628.800 Sekunden“, wie Alex vorrechnet. Dem großen Streit folgt die große Tragödie. „Du hast ihn umgebracht!“, schreit die Mutter den Freund ihres Sohnes an. Alex ist unendlich traurig. Mit Hilfe von Kate gelingt es ihm, einen letzten Blick auf den toten David zu werfen. Und Alex wird sein Versprechen um jeden Preis einlösen: Zu den Walkman-Klängen von „I Am Sailing“ von Rod Stewart stellt sich der Teenager in der Nacht auf das frische Grab seines Freundes und beginnt zu tanzen …
Ihr Film basiert auf dem Roman „Tanz auf meinem Grab“ von Aidan Chambers. Wie kam es zu Ihrem Interesse einer Verfilmung?
Ich las den Roman 1985 als ich siebzehn Jahre alt war, und ich liebte ihn. Er sprach mich persönlich sehr an. Das Buch ist spielerisch und einfallsreich. Es hat Zeichnungen, Zeitungsausschnitte und verschiedene Ansichten. Das Lesen hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich zu Beginn meiner Karriere bei meinen ersten Kurzfilmen dachte: "Wenn ich eines Tages einen Spielfilm mache, wird mein erster eine Adaption von diesem Roman".
Und fünfunddreißig Jahre später war es schließlich so weit ...
Es kam mir bis jetzt nicht in den Sinn, diesen Film zu drehen. Ich war überzeugt, dass besser ein anderer Regisseur das machen sollte, vielleicht ein amerikanischer Filmemacher. Aber zu meiner Überraschung ist das nie passiert. Nachdem ich „Gelobt sei Gott“ fertig gestellt hatte, las ich den Roman aus Neugierde noch einmal durch. Schockiert stellte ich fest, dass viele Themen des Buches in meinen Filmen bereits vorkamen: Cross-Dressing in „Ein Sommerkleid“ oder „Eine neue Freundin“; die Szene in der Leichenhalle in „Unter dem Sand“; eine Beziehung zu einem Professor in „In ihrem Haus“; der Friedhof in „Frantz“ ... Dieses Buch hatte meine Phantasie beflügelt, ohne dass es mir bewusst gewesen ist. Ich hatte diesen Notizbuch-Stil des Romans vergessen, der für mich sehr filmisch ist. Dann erinnerte ich mich daran, als ich im Alter von achtzehn Jahren einen ersten Entwurf des Drehbuchs mit einem Freund geschrieben hatte. Wir konzentrierten uns allein auf die Liebesgeschichte und hatten alles entfernt, was uns damals zweitrangig erschien. Sei es die Sozialarbeiterin, der Professor, die Eltern, das Judentum und die Rückblenden. Vielleicht konnte ich damals mit all den verschiedenen Elementen noch nicht umgehen. Filme werden gemacht, wenn sie gemacht werden sollen. Diese Geschichte brauchte Zeit, bis ich reif genug war, sie zu erzählen. Am Ende blieb ich der Erzählstruktur des Romans treu. Ich habe den Hintergrund so angepasst, dass er französisch ausfällt. Und ich verlegte die Geschichte in jene Zeit, als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe. Der Film umfasst sowohl die Realität des Buches als auch meine Erinnerungen an das, was ich damals beim Lesen fühlte.
Der Ton des Buches ist eher leichtfüßig. Weshalb entschieden Sie sich für einen eher dramatischen und romantischen Zugang?
Einige Szenen waren beim Drehen etwas humorvoller. Im Schneideraum habe ich jedoch die komischen Seiten abgeschwächt, um ganz bei den Jungs zu sein und um ihre Liebesgeschichte unkompliziert zu erleben. Je stärker das Thema Trauer ab der zweiten Hälfte wird, desto weniger Platz bleibt für Komödie. Es war wichtig, eine echte Beziehung zu den Figuren aufzubauen und jenes Gefühl zu vermitteln, das ich selbst als Teenager empfunden hatte. Bisweilen schien es, als würde ich einen ersten Film neu drehen, allerdings mit der ganzen Erfahrung, die ich durch all meine anderen Filme erworben habe. Wäre ich im Alter der beiden Figuren, wäre mein Zugang mit Sicherheit distanzierter gewesen …