Loving Highsmith
CH / D 2022 • 83 Min. • frei ab 6 • engl. O.m.U.
Regie: Eva Vitija
Buch: Eva Vitija
mit: Marijane Meaker, Monique Buffet, Tabea Blumenschein, Dan O. Coates
Kamera / Bildgestaltung: Siri Klug
Schnitt / Montage: Rebecca Trösch
Musik: Noel Akchoté
Patricia Highsmith um 1942 fotografiert von Rolf Tietgens
Mit Romanen wie 'Zwei Fremde im Zug' und 'Der talentierte Mr. Ripley' schuf Patricia Highsmith Weltliteratur. Die Verfilmungen erreichen ein riesiges Publikum. Ihr Privatleben hält die Meisterin des psychologischen Thrillers derweil zeitlebens vor der Öffentlichkeit verborgen. Dass sie lesbisch ist, weiß nicht einmal ihre Familie in Texas. Ihren lesbischen Liebesroman 'Salz und sein Preis'/'Carol' kann sie 1952 nur unter Pseudonym herausbringen. Über ihr eigenes, bewegtes Liebesleben schreibt sie in ihren Tage- und Notizbüchern. Diese werden erst nach ihrem Tod in einem Wäscheschrank in ihrem Haus im Schweizer Tessin entdeckt.
Auf Basis dieser Aufzeichnungen, die im Herbst 2021 zum 100. Geburtstag der Autorin zum ersten Mal veröffentlicht wurden, erzählt Regisseurin Eva Vitija von Highsmiths Lieben und Leidenschaften. Passagen aus den Büchern, die von Maren Kroymann gelesen werden, stehen neben Interviews mit früheren Freundinnen und Highsmiths Familie sowie Szenen aus den weltberühmten Verfilmungen ihrer Romane. Vitijas vielschichtige Liebesbiografie führt uns in ein Reich der Sehnsüchte und Obsessionen - und wirft ein neues Licht auf eine der schillerndsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts. 'Loving Highsmith' ist aber auch das Porträt einer Generation von Frauen, die mit Highsmiths 'Carol' den Mut fand, für ihr Recht auf Liebe zu kämpfen …
Hintergrund: Über Patricia Highsmith:
Patricia Highsmith wird 1921 in Fort Worth, Texas, geboren, nur neun Tage, nachdem sich ihre Mutter von ihrem leiblichen Vater J. Bernhard Plangman hat scheiden lassen. Das ungewollte Kind wächst die ersten sechs Jahre bei seiner Großmutter Willie Mae auf, die aus dem amerikanischen Süden Alabamas nach Texas eingewandert ist. Diese hat auch einen verwaisten Cousin von Patricia Highsmith aufgenommen. Mit ihm verbindet Patricia - die ihn 'Brother Dan' nennt - ihr Leben lang ein geschwisterliches Verhältnis. Auch die Großmutter erlebt Patricia als sehr positive Figur. Ganz im Gegensatz zur Mutter mit der sie eine lebenslange Hass-Liebe verbindet.
Erst mit sechs Jahren wird Patricia von ihrer Mutter nach New York geholt, wo sie und ihr neuer Mann Stanley Highsmith sich eine Existenz als Illustratoren aufgebaut haben. Patricia wächst mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in einfachen, mittelständischen Verhältnissen in Manhattan auf. Als sie die Grundschule besucht und die Großmutter aus dem Süden erfährt, dass sie mit schwarzen Kindern zur Schule geht, schickt diese Patricia für ein Jahr an eine Privatschule. Im Süden herrscht noch Rassentrennung.
Patricia wird mit 12 von ihrer Mutter noch einmal nach Texas zur Großmutter verfrachtet: eine traumatische und einsame Zeit für die junge New Yorkerin. Die Mutter hat ihr versprochen, sich scheiden zu lassen, lässt Patricia dann aber ein ganzes Jahr in Texas und bleibt bei ihrem Mann. In New York besucht Patricia schließlich das renommierte Barnard College und veröffentlicht im schuleigenen literarischen Magazin erste Kurzgeschichten. Wie eine Vorschau auf ihr späteres literarisches Schaffen ist das Thema der Identitätsverwirrung früh Teil ihres Lebens: Mutter Mary Highsmith versäumt es, Patricias Geburtsnamen Plangman ändern zu lassen. Da sie unter dem Namen Highsmith bereits erste Geschichten veröffentlicht hat, muss sie sich mit 21 Jahren von ihrem Stiefvater adoptieren lassen, um den Namen behalten zu können …
Die Westberlinern Tabea Blumenschein …
Während Patricia von sich selber sagt 'My character was essentially made before I was 6', ist sie auch literarisch schon mit zwanzig ausgereift: Ihre Geschichte 'The Heroine' (1945) vereint alles, was die spätere Highsmith ausmachen wird. Die junge Autorin führt die Lesenden an der Hand und lässt sie in die Abgründe einer Seele blicken, bis sie plötzlich merken, wie verrückt die Hauptfigur ist, mit der sie sich identifiziert haben. Genau wie ihre spätere Romanfigur, der berühmte Tom Ripley, ein skrupelloser und charmanter Killer, dem eine internationale Leserschaft fasziniert in fünf Folgeromanen von den 1950er bis in die 1990er Jahre folgt. Mit 17 beginnt Patricia sogenannte 'Cahiers', Notizbücher zu führen, die - zusammen mit ihren unveröffentlichten Tagebüchern -, die Grundlage für 'Loving Highsmith' sind.
In ihren psychologischen Kriminalromanen schafft es Highsmith, einen Teil der unsicheren Identität und der Abgründe eines Doppellebens zu erzählen, mit denen sie selber früh konfrontiert ist. Patricia ist lesbisch und muss ihre sexuelle Identität zeitlebens vor Familie und Öffentlichkeit verstecken. Sie lebt sie aber rege aus im wilden, homosexuellen Untergrund-Leben der 1940er und 1950er Jahre in New York. Bis sie vom Schreiben leben kann, entwirft Highsmith als Comic-Texterin für die Firma, die später zu Marvel werden wird, Heldengeschichten von der Stange. Ein literarisches Stipendium der Künstlerkolonie Yaddo ermöglicht es ihr, den Roman 'Zwei Fremde im Zug' zu schreiben. Dieser erscheint 1950, wird ihr erster literarischer Erfolg, und zugleich die erste von vielen Verfilmungen ihres Werks: Alfred Hitchcock verfilmt 'Zwei Fremde im Zug' unter dem Titel 'Der Fremde im Zug' kongenial.
Sie lernt Marc Brandel kennen und versucht mittels einer Konversions-Psychoanalyse ihre sexuelle Orientierung abzulegen, um ihn zu heiraten. Sie merkt aber bald, dass das Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist, und notiert in ihrem Tagebuch, dass sie lieber die anderen Frauen der Gruppentherapie mit demselben 'Problem' verführen würde …
'Zwei Fremde im Zug' ermöglicht es Highsmith finanziell nach Europa zu reisen. Kurz bevor ihr zweiter Roman 'Salz und sein Preis' (später unter dem Namen 'Carol' wieder aufgelegt und verfilmt), in den USA veröffentlicht wird. Die lesbische Liebesgeschichte bricht mit den literarischen Konventionen der Zeit, da die Liebe der beiden Frauen nicht tragisch endet, sondern eine Chance hat. Obwohl Carol sehr erfolgreich ist, gibt ihn Highsmith in diversen Ausgaben nur unter einem Pseudonym heraus. Erst nach vierzig Jahren veröffentlicht die Schriftstellerin 1990 den Roman unter eigenem Namen.
Themen wie Schuld, Wahnsinn und wechselnde oder doppelte Identität ziehen sich durch viele ihrer Werke. 1962 zieht Highsmith für eine verheiratete Geliebte in England definitiv nach Europa. Sie reist jedoch ihr Leben lang zwischen den USA und Europa hin und her, lebt in Italien, ab 1967 in Frankreich. Highsmith bleibt lebenslang ein Outsider der amerikanischen Literaturszene. Ihre Werke werden in den USA immer wieder von Verlagen abgelehnt. Doch in Europa erhält sie die literarische Anerkennung, die ihr gebührt, gewinnt renommierte Preise und wird berühmt. Sie veröffentlicht 22 Romane und unzählige Kurzgeschichten. Viele ihrer Romane werden in den USA, in Frankreich, England und Deutschland verfilmt.
1981 zieht sie aus Frankreich in die Schweiz, ins Tessin, wo sie die letzten 13 Jahre ihres Lebens verbringt. Sie stirbt Anfang 1995 74-jährig und vererbt ihr beträchtliches Vermögen an die Künstlerkolonie Yaddo. Ihre Tage- und Notizbücher werden posthum in einem Wäscheschrank gefunden. Ihr literarisches Erbe wird vom Zürcher Diogenes Verlag (Hauptverleger ab 1980) herausgegeben. Ihr Nachlass lagert im Schweizerischen Literaturarchiv.
Das Bild, das dem 'Loving Highsmith'-Plakat zugrunde liegt, wurde um 1942 aufgenommen und stammt von Rolf Tietgens (1911-1984). Der aus Hamburg stammende Fotograf emigrierte, von Verfolgung bedroht, Ende 1938 nach New York. Über seine Kollegin Ruth Bernhard lernten sich Highsmith und Tietgens im Sommer 1942 kennen. 'Pat fühlte sich immer mehr zu Rolf hingezogen, von dessen Homosexualität sie Kenntnis hatte', schreibt Andrew Wilson in 'Schöner Schatten. Das Leben von Patricia Highsmith' (Berlin 2003). Tietgens machte Aktaufnahmen von Highsmith und nutzte Porträts von ihr für surrealistische Fotoarbeiten. In den folgenden Jahren wurde aus Verliebtheit ein freundschaftliches, aber spannungsreiches Verhältnis, ehe es um 1970 herum zum Bruch kam. Mehr zum Verhältnis und zur Zusammenarbeit zwischen Highsmith und Tietgens findet sich in 'Rolf Tietgens - Poet mit der Kamera. Fotografien 1934-1964' (Zug/Schweiz 2011).
Dieser Film läuft im Xenon im April 2022